Dass in Dunkelbayern ein paar CSU-ler schon im Herbst 2022 entscheiden, wer für unsere beiden Passauer Stimmkreise im Herbst 2023 direkt in den Landtag einzieht, ist ja seit Jahrzehnten nichts Neues. Dass man dabei so Prachtkerle wie Meyer jun. und Heisl auswählt, schockiert zwar immer wieder aufs Neue, ist aber auch ein alter Hut. Die Älteren erinnern sich: Als im Jahre 1990 Meyer sen. in den Landtag einzog, schwankten die Reaktionen der nicht mit CSU-Parteiausweis Geborenen zwischen Spott und Entsetzen.
2003 wurde Franz Meyer aus Hirnschnell dann – aufgrund eines Missverständnisses oder einer verlorenen Wette des Ministerpräsidenten – tatsächlich auch noch Staatssekretär, was nicht nur dem Verfasser dieser Zeilen fast den Glauben an unser Staatssystem nahm. Irgendwann wurde Franz Meyer, Hirnschnell, dann Landrat und auch sonst noch alles Mögliche, aber man stumpft ab. Der Mensch gewöhnt sich an alles. Es kommt der Moment, wo man das Unglaubliche als normal hinnimmt. Oder schlagen Sie sich immer noch täglich mit der Hand auf die Stirn, wenn sie über die Verteidigungsminister der letzten 20 Jahre nachdenken? Eben, gutes Beispiel. Da ist ein Meyer als Staatssekretär noch das kleinste Problem.
Mittlerweile ist der Mann übrigens Vorsitzender der Senioren-Union und teilt, wie man dem Passauer Sonntags-Wurfblatt entnehmen konnte, „kräftig gegen die Berliner Ampel aus.“ Im Artikel wird dann zum hunderttausendsten Mal die Mär von der besonderen Hilfs- und Unterstützungsbedürftigkeit der älteren Generation bemüht. Täglich jammern uns Meyer und andere Funktionäre der Generation Gran Canaria vor, dass die Alten besonders arm oder armutsgefährdet sind. Dabei liegt die Armutsgefährdungsquote der über 65-Jährigen wesentlich niedriger als die der Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Deutschland. Aber Kinder und alleinerziehende Mütter gehen halt nicht so fleißig zum Wählen wie die Alten und die wiederum wählen halt gerne die CSU.
Kann irgendwer schlüssig erklären, warum Senioren fast überall weniger Eintritt bezahlen oder billiger mit der Bahn fahren (sogar das Interrail-Ticket ist günstiger – kein Witz), während sich viele Familien nicht einmal mehr das Hallenbad oder den Sportverein leisten können? Die Rentner, die mit dem Seniorenticket nach München fahren, um dort ermäßigt ins Museum zu gehen oder auf der Wiesn ein rabattiertes Hendl zu essen, sind übrigens vermutlich nicht die, die am Vormittag bei der Tafel waren. Ich freue mich schon wie ein Seniorenschnitzel auf meinen 65. Geburtstag. Dann zücke ich beim Schwaiberger an der Kasse meinen Personalausweis und frage fordernd: „Gibt’s für den Schampus und die Austern einen Seniorenrabatt, junge Frau?“
Wie schön wäre diese Welt, wenn wieder mittelalte Männer (meinetwegen auch ein paar Frauen) das Sagen hätten? Nicht die Jungen, die mir meine Flugreise verbieten wollen, nicht die Alten, die sich beim Boarding zu ihrem vierten Urlaubsflug im Jahr vordrängeln und ebenfalls nicht die Winnetou-Verbieter, Geschlechtsverweigerer, Frutarier und diskriminierten Heulsusen. Aber da sind wir wieder beim Gewöhnungseffekt. Das ist ein schleichender Prozess – man wird mürbe.
Wenn man täglich hört, dass es den Alten besonders schlecht geht, glaubt man es irgendwann. Wenn man zum hundertsten Mal liest, gewisse Personengruppen würden weniger diskriminiert, wenn man innerhalb von Substantiven Doppelpunkte setzt, verzweifelt man ob dieses Irrsinns nicht mehr ganz so sehr wie beim ersten Mal. Dass sich Menschen regelmäßig auf Straßen festkleben, weil sie tatsächlich glauben, damit den Weltuntergang zu verhindern, wird zum alltäglichen, kaum mehr hinterfragten Ereignis. Wir befinden uns im Krieg mit Russland – vor einem Jahr undenkbar, heute Tatsache.
Ob diese Absurditäten mit ein Grund sind, dass bei der letzten Landtagswahl jeder siebte Wähler im Stimmkreis einen Rechtsradikalen ins Parlament gewählt hat, ist schwer beweisbar. Aber daran sollten wir uns nicht gewöhnen.