1. Januar 2020, 0 Uhr 55. Der Passauer Oberbürgermeister serviert seinen Gästen in seinem Wohnzimmer gerade erlesenste Digestifs, als das Telefon klingelt.
Telefon: Ring, ring.
OB (schaut auf die Uhr): Same procedure as every year. Das ist sicher der Dittlmann, weils Rathaus brennt. (lacht laut)
Telefon: Ring, ring.
OB (zu seiner Frau): Geh Du hin.
Dem OB seine Frau: Dupper, hallo?
Stimme: Dittlmann, Frau Dupper, entschuldigens die Störung. Ich müsste – ja tatsächlich auch diese Nacht – dringend den Oberbürgermeister sprechen.
Dem OB seine Frau: Jürgen, der Dittlmann ist dran.
OB: Ha?
Dem OB seine Frau: Der Dit – tell – mann.
OB: Sog amoi, hat der a Rauchvergiftung? Gib her... Ja, Herr Dittlmann, ich weiß schon – das Rathaus brennt. Ha ha. Seit wann sind Sie witzig? Das ist übrigens überhaupt nicht witzig. Nur weil Ihnen fad ist, müssen Sie nicht Andere in der Silvesternacht inkommodieren.
Dittlmann: Ihnen auch die besten Wünsche, danke. Darf ich jetzt?
OB: Wenn nicht mindestens das Rathaus brennt – nein, dürfen Sie nicht. Eine schöne Nacht noch, lassen Sie sich Ihren Kamillentee schmecken.
Dittlmann: Felssturz. Anger. Der Fels blockiert komplett den Anger und die Nordseite Hängebrücke. Vollsperrung B 12 und B 388.
OB: Ja, dann räumts ihn halt weg. Wenn Sie es mit Ihren Leuten selber nicht schaffen, holts halt das THW dazu. Oder nehmts a paar Chinaböller – da drüben darf man ja. Herrgott, Dittlmann, bin ich der Stadtbranddings oder Sie?
Dittlmann: Sagen wir so. Der Felsen hat geschätzt 50 Kubikmeter. Wenn man jetzt die ungefähre Dichte von so einem Felsen kennt, dann reden wir da von schlappen 140 Tonnen. Ich würde mir das anschauen als Oberbürgermeister... Vor allem zweieinhalb Monate vor der Wahl.
OB: 15 Minuten.
1. Januar 2020, 1 Uhr 25. Zahlreiche Schaulustige haben sich auf der Hängebrücke und am Anger rund um einen riesigen Felsen versammelt, der mitten zwischen Hängebrücke und Ludwigsteig liegt.
OB: Habe die Ehre, Herr Dittlmann. Ich nehm alles zurück. Danke für den Anruf.
Dittlmann: Passt scho.
OB: Personenschaden?
Dittlmann: Seh ich das, wer da alles drunter liegt?
OB: Hörens jetzt mal auf, witzig zu sein. Dafür hab ich jetzt die Nerven nicht.
Steiner (zu einem Feuerwehrmann): Jetzt lassen Sie mich endlich durch, ich bin OB-Kandidat. (zum OB:) Haben Sie es mit den Nerven, Herr Oberbürgermeister?
OB: Oh mei. Sie sind auch überall, gell. Hab gar nicht gewusst, dass Sie bei der Feuerwehr oder beim THW sind... Oder sonst irgendeine wesentliche Position hätten...
Steiner: Das ist wieder typisch für Ihre Politik und Ihr Krisenmanagement. Wir haben hier einen Katastrophenfall und Sie pöbeln rum.
OB: Der Stadtbranddings und ich entwickeln gerade Lösungen – wenn uns die ganzen Gaffer dabei nicht stören.
Steiner: Ich bin ganz Aug und Ohr.
Junge Frau: Lassen Sie mich durch, ich bin OB-Kandidatrix. Sehr gut, jetzt haben Sie es endlich geschafft mit Ihrer brutalen Abholzerei.
OB: Wer isn des?
Dittlmann: Keine Ahnung. Trixi oder so hats gesagt.
Steiner: Das spricht wieder für Ihre Überheblichkeit, Herr Oberbürgermeister. Dass Sie Ihre Gegenkandidaten nicht kennen, bzw. vorgeben, nicht zu kennen. Das ist die OB-Kandidatin der Grünen, Frau ... äh...
Junge Frau: Auer. Stefanie Auer.
OB: Freut mich, grüß Gott. (zu Steiner:) Darf ich Ihnen Frau Auer vorstellen, Herr Steiner?
Mann mit Glatze: Lassen Sie mich durch, ich bin OB-Kandidat.
OB sieht Dittlmann fragend an.
Dittlmann (zuckt mit den Schultern): Schrägi oder Schrägli oder so. (flüstert:) AfD.
OB winkt mitleidig ab.
Kräftiger Mann mit Brille: Lassen Sie mich durch, ich bin OB-Kandidat.
Dittlmann (zischt): Der Linke. Ilzdampfer oder so.
Mann mit Glatze: Typisch für diese BRD GmbH. In China wär der Stein schon weg.
Ilsanker: Ja genau. Da würden jetzt die vielen Kinderchen mit den kleinen Hämmerchen kommen.
Tumult an der Absperrung. Bei einem Handgemenge geht ein Feuerwehrmann zu Boden.
Tausch: Loß mi durch, Du Krischperl, sonst leg i Da oane auf. I bin OB-Kandidatin.
OB: Um Gottes Willen. Mir bleibt nichts erspart.
Tausch: Oh leck, wia schaudsn do aus? Is des a Meteorit?
Dittlmann: Ein Felsen. (flüstert:) Christa, hau halt nicht immer gleich zu. Es ist Wahlkampf.
Tausch: Ja, scheiß drauf. Und der Herr Oberbürgermeister? Steht do und warnt vor Aktionismus, oder? Schaut ned so aus, als wenn hier wos passiert.
Steiner: Sehr gut, Frau Kollegin, ich bin jetzt seit geraumer Zeit hier und der Herr Oberbürgermeister wartet ab, bis der Fels – ja was? – erodiert wahrscheinlich.
Koopmann: Jetzt lassen Sie mich sofort durch. Ich bin OB-Kandidat und Ruinen-Retter.
Mangold: Und mich auch. Ich bin OB. Also noch nicht, aber ist ja nicht mehr lang hin. Ich verlange eine sofortige Zählung der in Mitleidenschaft gezogenen Bäume und eine unverzügliche Wiederaufforstung im Hang. Außerdem ist das Haus da bei der Ampel beim Felssturz beschädigt worden und hat meiner Meinung nach Denkmalcharakter.
Koopmann: Sehe ich genauso. Absolut schützenswert. Ich beantrage ein sofortiges Gutachten.
OB: Sagens amal, Herr Dittlmann – das sind wirklich alles OB-Kandidaten?
Dittlmann: Ja. Und noch nicht einmal alle.
OB: Was???
Kapfer: Grüß Gott beinand, servus Jürgen. Was machen wir? Soll ich ein paar Leute von der LG holen? Dann rollen wir den Kiesel weg.
Dittlmann (zu Dupper): Der ist auch OB-Kandidat.
OB: Wie viele sind das jetzt?
Steiner: Genug, Herr Oberbürgermeister. Genug für Sie, bzw. genug für die Stichwahl.
Mangold (strahlend): Genau.
Steiner (lächelt): Die Bürger wählen bestimmt einen in die Stichwahl, dessen Hauptthemen zwei verfallene Häuser, ein Klohäusel an der Ortspitze und Biomilch für die Passauer Schulkinder sind.
OB (grinst): Na dann, dann wünsche ich Euch allen viel Erfolg. Wenn der Sozialist und der Reichsbürger miteinander 20 Prozent holen, dann klappts auch sicher mit der Stichwahl. Und wenn jetzt zu den unzähligen OB-Kandidaten noch sämtliche Passauer Ehrenring- und Bundesverdienstkreuzträger hier auftauchen, können wir locker das Steinderl in die Donau schmeißen.
AS-Mann: Lassen Sie mich durch, ich bin Journalist.
Steiner: Was ist der?
AS-Mann: Journalist bei der AmSonntag.
Steiner: Ach so, AmSonntag. Erst hab ich Journalist verstanden.
AS-Mann: Herr Oberbürgermeister, wie ich sehe, haben Sie die Lage absolut im Griff.
OB: Ja klar, vielen Dank im Voraus für die Berichterstattung. (flüstert:) Und noch mal herzlichen Dank für das Interview nach Weihnachten. Top!
AS-Mann: Kann ich nur zurückgeben. Tolle, fundierte Antworten.
OB: Ah na. Ich hab das gesagt, was ich immer sage. Ihre Fragen waren super. So viele Angriffe gegen den politischen Gegner machen wir im ganzen Wahlkampf selber nicht. Aufrichtigen Dank.
Steiner: Da können Sie sich wirklich bedanken. Dass ein (zeichnet mit je zwei Fingern beider Hände zwei Anführungszeichen in die Luft) JOURNALIST bei einem Interview in einer (hebt den rechten Zeigefinger hoch) FRAGE die Politik der Passauer CSU als Steilvorlage für Kabarettisten und als unseriös bezeichnet, ist schon Journalismus vom Feinsten.
Tausch: Leck, ja. Des war der Abschuss. Und in einer anderen Frage hat er die Thunberg ein "armes, bedauernswertes Mädchen aus Schweden, das stets betont, man habe ihr die Kindheit gestohlen" genannt. (Boxt dem AfDler in die Rippen) Gell, Schrägi, nach der Machtergreifung gibts nur noch solchen Journalismus.
Ilsanker: Wo ist denn eigentlich der Obersturmbannführer? Oder sitzt der schon?
Mann mit Glatze: Ach, haltets doch den Mund, Ihr Systemlinge. Herr Oberbürgermeister, Herr Dittlmann, Sie haben das gehört. Das war eine schwere Beleidigung gegen einen Kameraden.
OB und Dittlmann winken ab.
Ilsanker: Das ist interessant, dass Sie glauben, zu wissen, wen ich gemeint habe.
Träger: Lassen Sie mich durch, ich bin Bürgermeisterin.
Mangold, Koopmann, Grüne: Noch.
Mann mit Glatze (singt): Unsre Erika fliegt mitm Flieger nach Südfrankreich und Spanien und noch weiter. Unsre Erika fliegt mitm Flieger nach Südfrankreich, unsre Erika ist ne alte Umweltsau.
Träger: Wer isn der Depp?
Alle: Egal.
Träger: Servus, Jürgen. Weil wir in der Vergangenheit so gut zusammengearbeitet haben, wie auch hoffentlich zukünftig, hab ich mir gedacht, ich komm vorbei und helf Euch ein bisserl.
OB (nickt): Danke, Erika. Wie denn?
Träger: Ich könnt den Verkehr regeln.
Dittlmann: Hier kommt doch keiner vorbei.
Ein kleiner durchtrainierter Mann mit einem Baseball-Cap mit Aufdruck EMU springt auf einem Skateboard über die Absperrung und kommt direkt zwischen den OB-Kandidaten zum Stehen.
OB: Ah, noch ein OB-Kandidat. Oder – nein, doch nicht.
Steiner: Servus Holm, seit wann fährst Du Skateboard?
Putzke: Ich habs mir gestern in zwei Stunden selbst beigebracht. (Grinst) Street Credibility – Du verstehst. Ist außerdem ein schöner Ausgleich zu Iron Man, MMA und der Vorbereitung meiner Sammelklage für die Indianer, Aborigines und Herero.
OB: MMA? Mann mit Aufmerksamkeitssucht?
Putzke: Mixed Martial Arts. (Boxt mit der blanken Faust gegen den Felsen, dass ein fußballgroßes Stück herausbricht.) Das geht alles über Ihren Horizont hinaus, Herr Oberbürgermeister.
OB (schlägt mit der Handkante gegen den Felsen, dass sich ein langer Riss bildet): Vorsicht, Bürscherl.
Putzke: Ich komme übrigens gerade aus der Innstadt. Ich bin über eine Stunde von der Polizei aufgehalten worden und durfte die Brücke nicht passieren. Wenn ich herausfinde, dass Sie da dahinterstecken, zeige ich Sie an. Nötigung, möglicherweise Freiheitsberaubung, weil es sich bei der Innstadt im Falle einer Brückensperrung faktisch um eine deutsche Exklave handelt.
Flisek: Jetzt lassts mich halt durch. So wichtig wie die da alle bin ich auch grad noch. Spitzen-Idee, Herr Putzke. Sie haben überhaupt viele gute Ideen zur Zeit. Das siebzehnmalige Nachtarocken im Skater-Streit – so was mögen die Leute, das bringt Stimmen. Wobei – das mit der Emerenz-Meier-Universität war jetzt Ihr Meisterstück als Kommunalpolitiker.
Steiner: Nur weil Ihr nie, wirklich nie, irgendwelche Ideen habt. Was wird hängenbleiben? Dass man diskutiert, dass die Passauer Uni nach einer Frau benannt wird. Und wer hat die Idee gehabt? Professor Holm Putzke. Ihr Kleingeister.
Putzke: Danke, Georg, man muss provozieren, sonst passiert nichts.
Flisek: Wie wärs denn mit Helene-Fischer-Universität? Die hat zwar auch nicht studiert, war aber immerhin mit einem Tiefenbacher zusammen. Oder wir nennen sie einfach Medizin-und-Medien-Universität. Self fulfilling prophecy – wenn zwei, drei Leute hier verstehen, was das heißt.
Putzke: Und was hat das jetzt mit meiner Frauennamenidee zu tun, wenn ich fragen darf?
Tausch (prustet): MUMU! Ich brech zamm, ist des geil.
Flisek: Dito.
Träger: Seids amal stad. Alle!
Alle schweigen und schauen Erika an.
Träger: Merkts Ihr was?
Alle schauen sich schweigend um.
OB: Der Verkehrsminister ist leider nicht da.
Träger: Des mein ich nicht.
Dittlmann: Ziemlich leise ist es. Und das mit dem Felsen hat sich wohl rumgesprochen, weil kein einziges Auto mehr herfährt.
Träger: Genau. Den Felsen schickt uns der Himmel. Lass man liegen.
Mangold: Von mir aus.
Koopmann: Gern.
OB: Also lass man liegen, den Felsen. Was meint der Herr Stadtbranddings?
Dittlmann: Welchen Felsen?
Alle ziehen lächelnd und schweigend von dannen.