Hoch die Hände – Zeitenwende!
So, jetzt kann ich es ja zugeben. Ich habe AfD und die Linke gewählt. Nachdem ich aber – wie schon länger bekannt – nicht nur ein linksradikaler Nazi bin, sondern seit einiger Zeit auch noch Elektroauto fahre und gelegentlich sogar meinen Müll trenne (am Abend, bevor die Müllabfuhr kommt, verteile ich Flaschen, Dosen und Batterien gleichmäßig auf die Restmülltonnen meiner Nachbarn), habe ich natürlich zusätzlich die Grünen und die ÖDP gewählt. Den Schätzl, den Koller Hansi und das Maral sowieso. Ich finde nämlich, ein guter Demokrat sollte allen die Chance geben, sich an der Rettung der Bunderepublik zu beteiligen und auf dem Wahlzettel kreuz und quer kumulieren und panaschieren.
Unten auf den Wahlzettel habe ich dann noch geschrieben: „Ich bitte um eine baldige Einigung in der Migrationsfrage, die sofortige Beendigung des Ukrainekrieges und die Einführung der 3,5-Tage-Woche bei einer Lohnerhöhung von 12 Prozent, mindestens aber 500 Euro pro Monat. Ferner fordere ich eine paritätische Besetzung des Bundestages, die die Lebenswirklichkeit in Deutschland abbildet: Ein Drittel Männer, ein Drittel Frauen, ein Drittel Sonstige. Mehr Kita-, billigere Pflege- und kostenlose Parkplätze verstehen sich von selbst. Ich bedanke mich im Voraus und verbleibe mit herzlichen Grüßen und besten Wünschen!“ Meinen Namen habe ich natürlich nicht drauf geschrieben. Ich bin ja nicht blöd.
Während ich den Wahlzettel gescannt habe, um ihn anschließend ins Rathaus zu mailen, war ich derart euphorisch und dachte bei mir: Dieses Mal klappt es, dieses Mal kriegen sie es hin. Bald wird alles gut. Das spüre ich. Jetzt, wo der Koller auch noch dabei ist, kann nichts mehr schiefgehen. Und dann ist es passiert – es klingelte an der Tür. Vor dieser standen zwei junge Menschen in roten Jacken, die mich freundlich anlächelten und begrüßten. Sie wollten mit mir über ihre Politik sprechen, aber mir fehlte die Kraft, weil ich sofort erkannte, dass es sich hierbei um ein Zeichen handeln musste. Als ich dann zwei Tage nach der Wahl in der Zeitung lesen durfte, dass es sich bei einem meiner Haustürklingler um den jetzt dann jüngsten Abgeordneten im nächsten Bundestag handelt, war ich mir endgültig sicher. Das war nicht nur ein Zeichen, das war eine Erscheinung.
Die älteren Leser mit bayerischem Sozialisationshintergrund kennen sicherlich noch die Witze vom Kare und vom Lugge. Beispiel gefällig? Ich zitiere aus einem alten bayerischen Witzebuch: „Fragt da Lugge an Kare: Wos is as gräßere Problem in da heidigen Zeit: Dummheit oder koa Interesse? Sogt da Kare: Woaß i ned, is ma aa scheißwurscht!“ Ja, ich gebe zu, der Witz haut einen jetzt nicht vom Hocker. Viel lustiger ist, dass wir jetzt aus unserem Wahlkreis zwei neue Abgeordnete nach Berlin schicken, nämlich den Hansi und den Luke. Und das Schönste daran ist, dass die Beiden aus so ganz unterschiedlichen Welten stammen. Sagt der Hansi zum Luke: „Du, Lugge, moanst, dass de mi in Berlin überhaupts vastängern?“ Sagt der Luke: „Ey, Digga, Dich versteht ja schon zuhause keiner.“
Aber vielleicht wird es auch ganz harmonisch, wenn sie gemeinsam im Zug nach Berlin sitzen. Der Hansi bringt dem Luke das Schafkopfen bei und der Luke erklärt dem Hansi die 56 Geschlechter oder die Internationale Solidarität. Später packt der Hansi sein Geräuchertes aus, der Luke seinen Linsen-Tofu-Riegel. Der Hansi erzählt von der Arena in Hundsdorf und der Luke lädt ihn zur nächsten Pro-Palästina-Demo in Berlin ein. Zum Abschluss schauen sie noch gemeinsam Don Camillo und Peppone auf Hansis Laptop, bevor sich in Berlin ihre Wege trennen. Luke schreibt an eine Genossin: „Bin verwirrt. Habe heute den ersten Rechten persönlich kennengelernt. Total goofy, aber eigentlich ganz nice.“ Der Hansi ruft seine Frau an: „Do kommst Du nia drauf, wen i kennaglernt hob. Den Sohn vom Lucky Luke. Du, der is fei Kommunist, aber ned zwida.“ Die Welt könnte so schön sein.